Gute Nachtgeschichten

Über die Ästhetik von Telefonnummern

verfaßt 1981

Protokoll eines populärwissenschaftlichen Vortrages von Dr. Walter Hein-Krotzberger, gehalten am 07.11.1978 auf dem II. Internationalen Kongreß für numerisch-topologische
Ästhetik in der Stadthalle zu Bern.

"Sehr verehrte Damen und Herren!

Ich schätze mich glücklich, Sie so zahlreich hier zu meinem bescheidenen Vortrag begrüßen zu dürfen.
Ihre Anwesenheit unterstreicht meine bereits hinlänglich bekannte Ansicht, daß die Zahl der Menschen, die die "Zahl an sich" nicht nur für ein lebloses trockenes "Etwas" halten, sondern die geradezu metaphysische Ästhetik, den Hauch der geheimnisvollen Zahlenwelt erahnen, ständig im Ansteigen begriffen ist.

Hier und heute geht es mir nicht um eine weitere Abhandlung über die Querverbindungen der oktogonalen, hexagonalen, n-gonalen Zahlensysteme und auch mit dem ethischen ontologischen Anspruch der imaginären Zahlenbereiche möchte ich Sie jetzt nicht konfrontieren.
An dieser Stelle verschweige ich auch notgedrungen die neuesten Primzahlenent-deckungen - ein hochinteressantes Gebiet - nein, es geht mir hier und heute um ein vergleichsweise profanes Gebiet, Sie ahnen es bereits: es geht um die Ästhetik der Ziffern, die zur Codierung der Telefonapparate verwendet werden, kurz: um die Telefonnummern!

Dabei möchte ich Sie von vornherein vor einem gefährlichen Trugschluß warnen: es gibt immer wieder sogenannte Hobbynumerologen, deren Haupttätigkeit darin besteht, Telefonbücher von vorn bis hinten oder auch nach anderen systematischen Vorgehensweisen zu durchforsten.
Das Ergebnis dieser zugegebebermaßen interessanten Tätigkeit liegt jedoch meist nicht im Sinne der reinen Ästhetonumerologie.

Die lediglich deskriptive Aufzählung der Nummern -ohne systematische Ordnung - nur zufällig nach der alphabetischen Reihenfolge der Telefonbesitzer -welche Willkür!- vermag niemanden zu befriedigen.
Diese Pseudofachleute werden beim Lesen der Telefonbücher vielfach noch durch die Namen, Adressen und Berufe der Telefoneigentümer abgelenkt.
Es erfolgt überhaupt keine Reflexion bezüglich der reinen, meine Damen und Herren, der reinen!- Zahl.

Durch diese Ablenkungen mangelt es an der erforderlichen Abstraktion.

Es ist unerläßlich, daß die Nummer allein -losgelöst von dem Bezug zum Telefonbesitzer bzw. -meine Damen- der Telefonbesitzerin betrachtet wird, in pointierend- isolierender Betrachtungsweise, wie der Experte zu sagen pflegt.
Aber mit allzuviel Fachausdrücken möchte ich Sie hier und heute nicht belasten.

Nun, betrachten wir einmal die durch diese Betrachtungsweise gewonnenen Nummern.....

Hier lassen Sie mich bitte eine Bemerkung einfügen: ich möchte mich bei meinen Ausführungen auf die vierstelligen Nummern beschränken.

Dieser Zahlenbereich ist am besten erforscht und kann exemplarisch für die anderen Systeme abgehandelt werden.

Die vierstelligen Nummern sind weitaus reicher gegliedert als die dreistelligen, denken Sie nur an die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten bei vier Ziffernl
Andererseits herrscht nicht die den Laien so verwirrende übergroße Komplexität wie bei den fünfstelligen Nummern, ganz zu schweigen von den sechs- sieben- oder n-stelligen Telefonnummern!
Allerdings möchte ich Ihnen zumindest vor den fünfstelligen Nummern die Scheu nehmen: unter uns gesagt: unterscheiden sich fünfstellige Nummern nicht oft nur durch eine vorangestellte "7" von den Vierern? Wenn überall die Vorzahl (streng zu unterscheiden von der Vorwahl "7" beträgt, dann frage ich Sie, meine Herrschaften, was für einen Informationswert bietet diese redundante "7" dann überhaupt noch?l Richtig, gar keinen!

(räusper) Ich möchte jedoch einräumen, daß die Vorzahl aus technischen Gründen vom Fernmeldeamt eingesetzt wird und damit einen gewissen technischen Informationswert hat.

Das soll uns hier aber nicht interessieren, weil wir es nicht mit "technischen Zahlen",sondern mit reinen Zahlen zu tun haben wollen.

Einflechten möchte ich, daß wir die Vorwahlnummern nicht extra erwähnen wollen, sie sind meist sehr simpel aufgebaut, zumindest aus Sicht des Experten.

Sehr destruktiv geht es im Regelfall mit der "0" los, und für vierstellige Vorwahlnummern gelten im übrigen meine folgenden Ausführungen analog.

.Aber gehen wir nun in "medias res".

Bei der Betrachtung einer Standard-Telefonnummer wie z.B. 7380 fällt dem Laien normalerweise nichts auf.

Für den Neuling der Ästhetonumerologie sind meist Nummern wie 8888 - vulgärsprachlich: "Schnapszahl" - oder 1234 (Simplex-Treppenaufbau) attraktiv.

Aber wo bitte liegt die Attraktivität?
Betrachtet man eine solche Nummer länger, so ist der Reiz des Neuen bald erschöpft, bei 8888 gibt es eben nur 8-en, nichts weiter; die Zahl ist vollkommen statisch und letztlich langweilig; 1234 enthält zwar mehr Dynamik, sogar eine aufsteigende optimistische Bewegung, aber diese Dynamik ist zu vordergründig, drängt sich dem Betrachter zu stark auf, und eine solche Art von Vergewaltigung ist fehl im Reiche der Zahlen, speziell der Telefonnummern.

Anspruchsvoller, aber ebenfalls zu verwerfen sind die sogenannten Oktavsprünge wie 3366 oder 2288 (hier sind es sogar mehrere Oktaven) oder Quintenverschiebungen (3355, bzw. 3535).

Aber einige Numerologen halten solche Verschiebungen sogar für legitim.....

Natürlich wollen wir keinem Numerologen ein absolutes System aufoktroieren, aber es gibt doch gewisse ästhetische Gesetzmäßigkeiten, die beachtet werden müssen.-

Der normale Betrachter gliedert in seinem Geiste die Telefonnummer meist in die zwei vorderen einerseits und die zwei hinteren Zahlen andererseits auf. Das Wort "Zahlen" ist hier im übrigen nicht korrekt:
es muß "Ziffern" heißen, soviel zu den elementaren Selbstverständlichkeiten...

Andere Aufgliederungsweisen wie: die ersten drei und dann die letzte, oder erst eine, dann die letzten drei, oder: die beiden äußeren und dann die zwei inneren, die sog. "Einbettung", sind seltener, allerdings durch das Auftreten neuer Lehrmeinungen stark im Zunehmen begriffen.

Es gibt sogar Avantgardisten, die die 3:1 - Aufteilung nicht mehr lokalisieren, sondern x-beliebig vornehmen und sich solch dissonanten Nummern widmen wie: 4644 oder 2485 oder auch 3131. Bei der anspruchsvollen 2485 ergibt sich die Dreieraufteilung übrigens dadurch, daß die ersten drei Ziffern Zweierpotenzen sind: 2hoch1, 2 hoch2, 2hoch3...

Kommen wir jetzt zur orthodoxen 2er-Typologie, die im Stellentakt: 1,2 - 3,4, eventuell auch im Rhythmus: 1,3 - 2,4, betrachtet werden kann.

Dabei sind schon auf diesem Niveau interessante Figuren zu erkennen, z.B. die Treppen.

Eine Treppe ist beispielsweise die Ziffernfolge 1358; die Nummer umfaßt vier verschiedene Ziffern, wodurch eine große Farbigkeit gewährleistet ist.

Lobenswert ist, daß der Treppenanstieg nicht einfach linear ist wie bei 1357 (Stellendifferenz jeweils 2), sondern unregelmäßig, wobei die Stellendifferenzen sogar Primzahlen sind, nämlich von einer Ziffer zur anderen der Reihenfolge nach: 2, 3 und 5.

Eine abknickende Treppe mit Plateau ist zum Beispiel 1244 oder als gegenläufige Treppe: 1841.

Bei letzterem Exemplar fällt auf, daß die Differenz der ersten beiden Ziffern gleich der Summe der beiden letzten ist, ein hübscher Einfall des Schöpfers der Nummer!
Kritisch anzumerken ist jedoch, daß die Summe der ersten beiden Ziffern wie die der letzten beiden Ziffern gleichermaßen ungerade ist (9 und 7), was im Falle von 1643 zu einer geradezu peinlichen Identität führt (jeweils 7)!
Bei 1244 ist dieser Faux-pas vorausblickend vermieden worden:die entsprechenden Summen betragen 3 und 8 wie unschwer zu erkennen ist.

Sehr schöne Exemplare sind unter anderem auch 3347: verdeckter Treppenaufbau! Außerdem ist hier die Summe der Ziffern (Stellen) S1 und S2 gerade, während S3 + S4 (11) ungerade ist. Und für Fortgeschrittene ist bei dieser Nummer ein besonderes Phänomen erkennbar: das Produkt von Sl x S4, nämlich 21, ist um genau 1 größer als das Produkt von S2 x S3 (20)!
Auch wenn Sie zweifeln: ich halte dies nicht für einen Zufall, sondern für die nahezu geniale Intuition des Nummernschöpfers!

Lassen Sie mich noch eine ästhetische Nummer vorstellen: 8247! Von der Dynamik her ist sie ein Wellental zwischen zwei Bergen, überaus farbig; die Quersumme ist durch drei teilbar, Summe S1 + S2 gerade, S3 + S4 ungerade, Summe S2 + S3 =6; diese "6" kann mit den Ziffern "7" und "8" der Nummer verknüpft werden, und dies ergibt eine neue Treppe....
Meine Damen und Herren, Sie sehen selbst, es gibt unzählige Verknüpfungsmöglichkeiten innerhalb des weiten Reiches der Telefonnummern, ganz zu schweigen von den Obersystemen, die die Nummern miteinander bilden, den Arten, Familien und Hierarchien, wobei für die Bildung hierarchischer Ordnungen die Telefonnummern ja geradezu prädestiniert erscheinen!

Und wieviel Klassifizierungsmerkmale eröffnen sich da dem Schauenden, ich will ja gar nicht von Logarithmen und Wurzelziehen erzählen, obwohl sich der Numerologe leider qua Definitionem leider nicht dem ganzzahligen Bereich entziehen darf. Deshalb gilt "off limits" für die Zahlen "Pi" und "e", ebenso Zutrittsverbot für "Sinus", "Cosinus", "Tangens", "Cotangens" und die besonders argen "Arcfunktionen"!

Die Wählscheibe und auch diese neumodischen Blocktasten lassen nun einmal keine reellen, geschweige denn imaginären Zahlen zu!

Was sagt uns dies alles für die Praxis? Was bedeutet dies für Sie in Ihrer kleinen Welt als Hobby-Numerologe?

Nun, wenn Sie jetzt -angeregt durch diesen Vortrag- selber kleinere numerologische Studien vornehmen möchten, bitte ich Sie, nicht einer leider allzu häufigen Unsitte zu verfallen: bitte vergessen Sie alle gut gemeinten Merkregeln für das Behalten von Telefonnummern.
Die Assoziation von Telefonnummern mit Jahreszahlen, geschichtlichen Ereignissen, Geburtstagen Ihrer Bekannten, Parallelen zu Postleitzahlen und was es dergleichen gibt, ist menschlich verständlich; diese Vermenschlichung wird aber der reinen "Zahl an sich" nicht gerecht.

Die unvergänglich schönen Zahlen werden dadurch nur in den Bereich des Vulgären, Banalen und Profanen hinabgezogen.

Die Abstraktion, die pure Zahl ohne Lebensballast: das ist das Entscheidende!

Meditieren Sie darüber, allein oder im Kreise von Gleichgesinnten. Der Numerologe kennt keine Rassen- oder Klassenschranken,für ihn gibt es nur Ziffern, zehn wunderschöne an der Zahl! Lassen Sie eine beliebige Zahl Ihrer kreativen Phantasie auf sich einwirken und notieren Sie die Assoziationen, die sich beim Nachdenken über die Zahl einstellen.

Tasten Sie sich zuerst an die einzelne Ziffer heran, und dann lassen Sie die Telefonnummer in Ihrer Ganzheit auf sich einwirken.

Besonders schön wird es, wenn Sie und Ihre Partnerin -oder der Partner- an eine gemeinsame Nummer, eine gemeinsame Telefonnummer, denken. Aber vermeiden Sie die Zahl "6", um nicht durch verfehlte Assoziationen abgelenkt zu werden vom pythagoräischen Ereignis der Erkenntnis der Schönheit der Zahlen.

Um auch Ihnen das überwältigende Erlebnis einer transzendentalen Nummernmeditation zu ermöglichen, können Sie am Hallenausgang gegen ein geringes Entgelt eine extra von mir persönlich zusammengestellte "Nummernliste für den angehenden Numerologen" erwerben -nein, kein abgehalftertes Telefonbuch, meine Dame aus der zweiten Reihe!, sondern ganz neue exquisite Nummern, von denen keine der anderen gleicht und die noch nie im Fernsprechverkehr benutzt wurden.-

Und dann bitte ich Sie noch um etwas ganz Persönliches:
setzen Sie sich für ästhetische Telefonnummern ein, im privaten Lebensbereich, am Arbeitsplatz, in Vereinshäusern, wo immer Sie hinkommen!

Wir planen die Einrichtung einer Bürgerinitiative, die das Recht auf eine ästhetische Telefonnummer von mindestens der Ästhetikklasse "3" für jeden Bürger, jede Bürgerin, gesetzlich verankern soll ...

Jetzt, am Schluß meines Vortrages, danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit; für Rückfragen bin ich fernmündlich zu erreichen unter Nr. 4856, kommen Sie gut nach Hause!

Copyright: Burkhard Heidkamp 1981